Nachhaltigkeit im Mittelstand

Warum Unternehmen auf Nachhaltigkeit setzen

Das Thema Nachhaltigkeit gilt als das Zukunftsthema schlechthin. Die Europäische Union hat mit ihrem Green Deal des klimaneutralen Wirtschaftens bis 2050 ein anspruchsvolles Ziel formuliert, mit der EU-Taxonomie gibt es klare Vorgaben für Unternehmen und Banken. Darin sind erstmals Kriterien für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten festgelegt worden. Außerdem werden Unternehmen mit einer stärkeren Berichtspflicht zu mehr Transparenz bei der Nachhaltigkeit aufgefordert. Der deutsche Mittelstand hat die Zeichen der Zeit erkannt: Mehr als 70 Prozent halten nachhaltiges Handeln und Produzieren für notwendig, um die Zukunftsfähigkeit des Mittelstands abzusichern. Knapp 70 Prozent erwarten durch mehr Nachhaltigkeit eine Chance für eigenes Wachstum und stärkere Wettbewerbsfähigkeit. Das ergab die aktuelle Studie der Commerzbank zum Thema Nachhaltigkeit in Unternehmen. Lesen Sie im Folgenden die wichtigsten Aussagen – und was der Mittelstand bei der Umsetzung von mehr Nachhaltigkeit von der Commerzbank erwarten kann.

Bedeutung von Nachhaltigkeit erkannt - Umsetzung schwierig

  • Ökologie, Ökonomie und soziale Verantwortung
    Das Studienergebnis ist deutlich: Nachhaltigkeit ist für mehr als drei Viertel der befragten Unternehmen ein Dreiklang aus Ökologie, Ökonomie und sozialer Verantwortung. Fast ebenso viel sehen darin zum einen eine Notwendigkeit für die eigene Zukunftsfähigkeit, zum anderen eine Chance für das Überleben im Wettbewerb und für firmeneigenes Wachstum. Zum Hintergrund der Studie: Insgesamt wurden rund 2.700 Unternehmen in zwei Runden befragt. Die eine erfolgte vor der Pandemie, die zweite mittendrin. Einige Fragen wurden jeweils nur in einer der Befragungen gestellt.
  • Erst ein Drittel der Unternehmen hat eine Nachhaltigkeitsstrategie
    So weit die uneingeschränkt guten Nachrichten. Das Ergebnis wird jedoch dadurch getrübt, dass erst ein gutes Drittel der Unternehmen eine Nachhaltigkeitsstrategie hat. Ein weiteres Drittel ist zumindest schon in der Planung. Dabei zeigt die Umfrage ganz deutlich, welche Vorteile eine solche Strategie mit sich bringen kann. Denn während „nur“ jeder zweite Mittelständler in den vergangenen beiden Jahren in Nachhaltigkeit investiert hat, sind es immerhin zwei Drittel der Unternehmen mit einer Nachhaltigkeitsstrategie.
  • Neue Geschäftsfelder durch Nachhaltigkeit
    In der ersten Umfragerunde gab fast die Hälfte der Unternehmen an, bereits neue Geschäftsfelder mit Bezug zur Nachhaltigkeit aufgebaut zu haben oder in entsprechenden Planungen zu sein. Der wirtschaftliche Druck der Corona-Krise hat diesen Wert in der zweiten Befragung vorübergehend auf 38 Prozent gesenkt. Neben der wachsenden eigenen sozialen Verantwortung sehen gut zwei Drittel die Chance, durch nachhaltiges Agieren sowohl Kundenbeziehungen zu stärken als auch den Fortbestand des eigenen Unternehmens abzusichern. Als Hemmnisse auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit nennen Firmen, Aufwand und Ertrag im Voraus schwer abschätzen zu können.
  • Mittelstand setzt auf Beratung zu Fördermitteln durch Banken
    Kritik gibt es zudem an der unübersichtlichen Zahl von Förderprogrammen. Oftmals fehlt auch das Wissen, wie sie ausgestaltet sind. Vor allem diesbezüglich setzt der deutsche Mittelstand auf Unterstützung und Beratung durch Banken. Von ihnen werden aber auch Aufklärung und allgemeine Informationen zu Nachhaltigkeitsthemen erwartet, ebenso die Vernetzung mit Firmen und Experten dieses Spektrums. Von der Politik verlangen rund 90 Prozent der Befragten Planungssicherheit, klare gesetzliche Vorgaben und verlässliche Energiepreise.
  • Banken müssen selbst nachhaltig handeln
    Eine hohe Priorität für den deutschen Mittelstand hat, dass Geldhäuser selbst nachhaltig agieren. Hierbei gehört die Commerzbank seit Jahren zu den Pionieren der Branche. Seit 2015 arbeitet sie in Deutschland klimaneutral, bis 2050 soll die CO2-Bilanz des gesamten Kredit- und Investmentportfolios zudem netto null betragen. Die Commerzbank gehört damit zu weltweit 43 Banken, die sich diesem Ziel verpflichtet haben.

Mittelstand und Nachhaltigkeit – Interview mit unseren Experten

Die aktuelle Studie der Commerzbank zeigt, wie sich der Mittelstand mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzt. Im Gespräch schildern Dr. Stefan Otto, Bereichsvorstand Firmenkunden für die Regionen Nord und West, und Dietmar Kuhlmann, Leiter Financial Engineering West, wie unterschiedlich Mittelständler mit diesem Zukunftsthema in der alltäglichen Praxis umgehen.

Wie beurteilen Sie den Umgang des deutschen Mittelstands mit dem Thema Nachhaltigkeit?

Otto: Die Studie spricht eine deutliche Sprache: Die große Mehrheit im Mittelstand hat die Bedeutung erkannt. Allerdings ist dies bei vielen noch ein reines Positionierungs- und Marketingthema, aber noch kein strategisches. Da gibt es von unserer Seite noch viel Aufklärungs- und Beratungsbedarf. Uns geht es bei einer solchen Beratung nicht um reinen Produktvertrieb, vielmehr versteht sich die Commerzbank als Partner bei der Transformation des Mittelstands zu mehr nachhaltigem Agieren. So können wir im Sinne unserer Plattform auch dritte Dienstleister mit unseren Kunden zusammenbringen.

Wie kann die Bank Nachhaltigkeitsstrategien bei Firmen unterstützen?

Kuhlmann: Nehmen Sie die Stahlindustrie. Sie will künftig durch Wasserstoff „grün“ werden. Dafür braucht die Branche eine Bank an ihrer Seite, die versteht, dass solch ein Wandel erhebliche Investitionen benötigt – in einem Umfang, der oftmals die üblichen Kreditlinien sprengt. Was bei Großunternehmen seit Langem genutzt wird, stellen wir auch dem Mittelstand als Finanzierungsinstrumente zur Verfügung, beispielsweise Green Loans, Green Clubdeals, Green Schuldscheine, Green Bonds. Wichtiger als das singuläre Produkt ist aber das Verständnis der Bank: Zur Sicherung der Wettbewerbsposition durch mehr Nachhaltigkeit können zusätzliche Kreditmittel notwendig und sinnvoll sein. Neben unserem eigentlichen Finanz-Know-how vermitteln wir auch Kooperationspartner. Diese unterstützen unsere Kunden von der Ermittlung des individuellen CO2-Footprints bis hin zum Aufbau einer CO2-freien Produktion – je nach Wunsch des Unternehmens.

Otto: Lassen Sie mich ergänzen: Eine Nachhaltigkeitsstrategie ist für die Stahlbranche längst zur Überlebensfrage geworden. Aber nicht nur die reine Stahlproduktion muss eine bessere CO2-Bilanz aufweisen. Das gilt auch für die Logistik und die vor- und nachgelagerten Produktions- und Dienstleistungsschritte. Und spätestens dort sind wir mitten im deutschen Mittelstand angekommen.

Sind regulatorische Auflagen ein Treiber für mehr Nachhaltigkeit?

Kuhlmann: Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Ein Beispiel zum Lieferkettengesetz: Einer unserer Kunden aus der Bekleidungsindustrie hat kurz nach dem Beschluss der Neuregelung bereits eine 30-seitige Präsentation für Abnehmer vorgelegt, um zu zeigen, dass er das neue Gesetz schon einhält. Andere Kunden haben von dem Thema erst in der Zeitung gelesen.

Wie gehen Sie vor, um Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit zu beraten?

Kuhlmann: Das kommt natürlich auf den Wissensstand des jeweiligen Kunden an. In der Regel definieren wir im Gespräch zunächst: Was ist Nachhaltigkeit? Dann: Was bedeutet Nachhaltigkeit für die Commerzbank? Und als Nächstes: Wie hat sich das ratsuchende Unternehmen mit den neuen Anforderungen auseinandergesetzt? Wie hat es sich darauf eingestellt? Bei einem heißt es „Augen öffnen“, beim nächsten „Kooperationspartner anbieten“, beim dritten „die Kreditlinie erhöhen“ und beim vierten geht es schon um Produkte. Das sind hochintensive und spannende Strategiegespräche.

Wie tief verankert ist das Thema Nachhaltigkeit beim deutschen Mittelstand im Vergleich zur Digitalisierung?

Kuhlmann: Ich persönlich glaube, dass Nachhaltigkeit die deutsche Wirtschaft stärker prägt als das Thema Digitalisierung. Kunden werden im Handel künftig ausgelistet werden, wenn es Wettbewerber gibt, die nachhaltig wirtschaften – solch ein Verlust trifft ins Mark. Bei Finanzierungen werden Unternehmen künftig Schwierigkeiten bekommen, wenn sie gewisse ESG-Kriterien nicht erfüllen (ESG = Environment, Social, Governance). Aber auch die Banken selbst müssen in ihre Kreditportfolios schauen und darauf achten, diese möglichst nach Nachhaltigkeitskriterien auszurichten. Das sind Dimensionen, die wir bei der Digitalisierung so nicht gesehen haben.

Otto: Wir haben in puncto Nachhaltigkeit kein Erkenntnisproblem, aber ein zunehmendes Umsetzungsproblem. Folglich sind wir als strategischer Partner unserer mittelständischen Kunden gefragt, denn Nachhaltigkeit dürfte zunehmend zum K.-o.-Kriterium werden – sei es bei den Abnehmern mittelständischer Produkte oder auch bei den Banken.

Stand: Mai 2021